Lesezeichen: „Die SPD muss dafür sorgen, dass die Linken koalitionsfähig werden“

"Die SPD muss dafür sorgen, dass die Linken koalitionsfähig werden. Das entspricht der Lage in vielen Staaten Europas. Dies verlangt aber, dass sich die SPD den Linken nicht entgegenbeugt." Dies erklärte der ehemalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Bundesminister und Berater von Willy Brandt, Egon Bahr in einem Interview mit WELT ONLINE (12. März 2008). Die SPD habe dies schon bei den Grünen geschafft. Bahr gab zu, dass die Partei in Schwierigkeiten sei. Er könne dies "wirklich nicht Krise nennen." Denn "die Organe funktionieren, und die Beschlüsse funktionieren hoffentlich auch."

Auf die Frage, ob sich die SPD schon einmal in einer derart komplizierten Lage befunden habe, antworte Bahr:

"Es gibt einige vergleichbar komplizierte Situationen: unmittelbar nach dem Krieg. Dann in der Phase, als Schumacher sagte, die Kommunisten wollen uns Sozialdemokraten in der sowjetisch besetzten Zone nur als ‚Blutspender‘ betrachten. Schwierig war für uns ebenso die Lage beim Bau der Mauer. Vor allem aber der Beginn der Ostpolitik, als wir ‚Sozis‘ beschimpft und leidenschaftlich bekämpft wurden. Franz Josef Strauß sagte damals: ‚Die haben uns verkauft, nur noch nicht geliefert.‘ In jedem dieser Fälle waren die Sozialdemokraten in schwierigen Situationen gegenüber ihren Urgegnern. Das sind diejenigen, die den Sozialismus mit Gewalt, also nicht evolutionär, erreichen wollten. Wir aber haben unsere Linie bewahrt und stets gewusst: Man muss auf der Höhe der Zeit sein, wenn man etwas bewirken will, wie Willy Brandt sagte. Also: im Prinzip nichts Neues. "

Die Frage, ob das Erstarken der Linken mittelfristig eher eine Chance oder eine Gefahr für die SPD sei, beantworte Bahr so:

"Das hängt davon ab, wie wir uns dazu verhalten. Das Land muss sich auf ein Fünf-Parteien-System einstellen. Alle Parteien haben damit Schwierigkeiten. Es ist dabei überhaupt kein Zufall, sondern vielmehr geschichtliche Kontinuität, dass das für die SPD am kompliziertesten ist. Das Verhältnis der SPD zu den Linken unterliegt dabei vielerlei Belastungen: Sie sind historisch bedingt, aber ebenso durch einen ziemlich sinnlos gewordenen Streit darüber, was heute Sozialismus ist. Dieser Streit ist in einer Zeit der Globalität und von europäischen Lösungen hinfällig geworden. Die Möglichkeiten echter Richtungsentscheidungen innerhalb einer Nation werden immer enger. Der Nationalstaat hat sich also überlebt und bleibt doch unentbehrlich."

Auf die Frage,ob die SPD auf Dauer mit der Linken koalieren werde, entgegnete Egon Bahr:

"Die SPD hat mit großen Schwierigkeiten gekämpft, die vierte Partei, die Grünen, normal koalitionsfähig zu machen. Ich schließe daraus, dass es eine Aufgabe der SPD sein könnte, mit einer fünften Partei im Interesse des Landes das Gleiche zu tun. Die SPD muss also dafür sorgen, dass die Linken koalitionsfähig werden. Das entspricht der Lage in vielen Staaten Europas. Dies verlangt aber, dass sich die SPD den Linken nicht entgegenbeugt. Sie muss ihren eigenen Kurs verfolgen und daneben sehen, ob sich die Linke notwendigerweise in die Mitte bewegt. Wenn sie das nicht tut, bleibt sie eine Randerscheinung. Wenn sie es tut, werden Koalitionen möglich."

WELT ONLINE weist darauf hin, viele in der SPD hätten die Bundestagswahl 2009 schon aufgegeben. Dazu Egon Bahr:

"Das halte ich für Unsinn. Diejenigen, die glauben, wir könnten 2009 nicht gewinnen, sind kleinmütig, kurzsichtig oder haben keine Erinnerung. Wer so redet, tut mir leid. Im Sommer 1972 war die öffentliche Meinung einig: Brandt/Scheel können nicht gewinnen. Fünf Monate später hat die SPD ihren größten Wahlerfolg gefeiert.

WELT ONLINE: Kurt Beck kann also Kanzler werden?

Egon Bahr: Ja, selbstverständlich! "