
Seit Jahren verliert die SPD etwa dreitausend Mitglieder monatlich. Tausend sterben, zweitausend treten aus. Dies berichtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG in ihrer Ausgabe vom 02.07.2007. In den Jahren 2003 und 2004 waren es noch mehr gewesen. Ebenfalls monatlich werden etwa tausend neue Mitglieder gewonnen. 1976 hatte es mehr als eine Million eingeschriebene SPD-Mitglieder gegeben. 1990 waren es etwa 920 000, 1998 dann 755 000, Ende 2005 noch 590 000, im vergangenen Dezember 561 000. Der aktuelle Stand, heißt es im Willy-Brandt-Haus, liege bei 552 000.
Kommissionen und Konzepte hat es nach dem FAZ-Bericht genug gegeben, um den Schwund aufzuhalten. Gelungen ist es nicht weder durch eine Zöpel-Kommission (1995) noch durch eine spätere des jetzigen SPD-Vorsitzenden Beck.
Wörtlich heißt es in dem FAZ-Bericht:
"Unterschiedliche Erklärungsversuche und Thesen gibt es. Dazu gehört, dass sich die Lebensumstände also Arbeitsstunden pro Woche jüngerer Leute, die als Mitglieder in Betracht kämen, derart verändert hätten, dass die Zeit neben dem Beruf so eben noch für das Privatleben (Beziehung, Ehe, Kinder) ausreiche. Außerdem litten die Parteien darunter, dass Politik als Beruf wegen schlechter Bezahlung, schlechtem Ruf und dem ständigen Erfordernis nach öffentlicher Präsenz unbeliebt sei. Als ein weiterer Erklärungsversuch gilt das Ausscheiden der SPD aus vielen Landesregierungen, weil eine Oppositionspartei für Ehrgeizige, Mitläufer und Karrieristen (aus dem öffentlichen Dienst) nicht attraktiv sei, was (nebenbei) Auswirkungen auf die fachliche Qualität der Parteiarbeit hat. Derzeit betrifft das vor allem die SPD in Nordrhein-Westfalen sowie im Saarland.
Schließlich glauben manche auch, die Mitglieder, die zu Beginn der siebziger Jahre zu Hunderttausenden in die SPD eingetreten seien, hätten spätere Interessenten vergrault und abgestoßen. Erst die Jungsozialisten der siebziger Jahre hätten die SPD zur Volkspartei gemacht und ihr diesen Charakter jetzt wieder genommen, sagen Jungsozialisten von heute. Ein Teufelskreis nach unten? Etwa zwanzig Prozent der Ortsvereine der SPD haben in den vergangenen fünf Jahren nicht ein neues Mitglied aufgenommen. Irgendwann fehlen dann die Mitglieder, die neue Mitglieder werben könnten…."
Jahrelang, so die FAZ, blieb der Rückgang der Mitgliederzahlen ohne Auswirkungen, weil die dominante Gruppe der Jahrgänge 1940 bis 1947 stark genug war und sich ewig jung fühlte. Weiter heißt es in dem FAZ-Bericht:
"… Vorstöße sogar Franz Münteferings, die Parteispitze zu verjüngen, scheiterten an seinen Jahrgangsgenossen, aber auch daran, dass unter den etwas Jüngeren (der Jahrgänge 1950 und folgende) wenig Spitzenkräfte auszumachen waren. Lange Jahre war Gerhard Schröder (Jahrgang 1944) der letzte Juso-Vorsitzende (was er Ende der siebziger Jahre gewesen war), der in den Bundestag kam. Erst Andrea Nahles (Jahrgang 1970) sollte 1998 die nächste sein. Den Juso-Vorsitzenden dazwischen waren Spitzenfunktionen nicht vergönnt."
Jetzt aber, schreibt die FAZ, scheint der Verjüngungsprozess wie von selbst zu laufen, und nun ist sogar von einer Überforderung die Rede. Die FAZ fährt fort:
"Die demographische Entwicklung erleichtert den Aufstieg. In den nächsten fünf Jahren, sagt der derzeitige Vorsitzende der Jungsozialisten, Björn Böhning, würden etwa 40 Prozent sämtlicher kommunaler Mandate ausgetauscht. Jüngere SPD-Mitglieder äußerten in Umfragen überwiegend, sie wollten ein politisches Mandat anstreben sei es in der Partei, sei es in Parlamenten. Wer in die SPD eintrete, wolle auch aktiv sein, wird daraus geschlossen.
Die kommunale Ebene sei wie ein Schwamm, der die Aktiven aufsauge. Schon gebe es unter den Jüngeren Multifunktionäre. Doch werden Nebenwirkungen ausgemacht. Kommunales Engagement führt dazu, dass die Aktiven weniger als früher überregional tätig sind. Es kann auch dazu führen, dass sie mehr in den Parlamenten (Stadt- und Gemeinderäten) und weniger in den Parteigliederungen oder im befreundeten Umfeld aktiv sind, wie das früher der Fall war, als junge Sozialdemokraten die unterschiedlichen sozialen Bewegungen und Protestgruppen (Frieden, Frauen, Umwelt) mitprägten. Auffällig ist jedenfalls der Aufstieg von ganz jungen Sozialdemokraten: Studenten haben mehr Zeit als Berufsanfänger."
Köln gilt als Beispiel, berichtet die FAZ. Entsprechend gibt es in der Parteiführung schon Einschätzungen, der Rückgang der Mitgliederzahl sei zwar nicht schön, könne aber hingenommen werden und müsse es auch, weil sich die Verhältnisse änderten. Womöglich sei die ostdeutsche SPD mit ihren wenigen Mitgliedern ungewollt sogar Vorreiter: Dort ist in vielen Gliederungen die Zahl der Mitglieder so gering, dass zwei von drei Mitgliedern eine politische Funktion ausüben.
Der Charakter der SPD aber, schreibt die FAZ, wird dadurch verändert. Wörtlich:
"Parteilinke bedauern es, dass sich Mitglieder vieler Ortsvereine auf biedermeierliche Weise ins Heim lokaler Politik zurückzögen. Die Ortsvereine seien nicht mehr so diskussionsfreudig, wie sie es bei uns waren, hat jetzt Johano Strasser Aktivist der siebziger Jahre in einer Gesprächsrunde mit jungen Mitgliedern gesagt. Die Diskussionsfreude hänge heute von den realen Mitwirkungsmöglichkeiten ab, hielt Ute Vogt (Jahrgang 1964), die baden-württembergische Landesvorsitzende, dagegen. Es ist wohl so: Wer daheim über den Ausbau von Straßen oder Kindergärten debattiert, hat für Theoriedebatten zur Verbesserung der ganzen Welt wenig übrig. Und wer als junger Mensch im Stadtrat oder gar Landtag sitze, möchte nicht mehr Kassierer sein…."
Wir haben ein Kassiererproblem, sagen junge und ältere Sozialdemokraten, heißt es in dem FAZ-Bericht.Natürlich werden schon seit geraumer Zeit die Parteibeiträge zentral per Lastschrift eingezogen. Auch die Mitgliederkartei ist zentralisiert. Die FAZ zieht folgendes Fazit:
"Der Apparat wird anonymisiert. Sogenannte Service-Leistungen werden an Agenturen vergeben. Menschen, die sich gerne um andere Menschen kümmern, finden keine Beschäftigung mehr wie ehedem die Hauskassierer, die die Beiträge der Mitglieder einsammelten. Die hatten eine soziale und auch eine politische Funktion. Sie trugen Verantwortung, kannten Lebensumstände ihrer Mitglieder und konnten bei den Hausbesuchen auch die politische Meinungsbildung ihres Ortsvereins beeinflussen. Jetzt verläuft das eher per E-Mail und per SMS."