NRW-SPD: Beste Bildung für alle

"Beste Bildung für alle": Unter diesem Motto stand eine Klausurtagung der SPD-Landtagsfraktion am 20. und 21. Oktober 2006. Die Tagung bettet sich damit in den laufenden Prozess der NRW-SPD zur Verabschiedung eines bildungspolitischen Gesamtkonzepts ein. Nächster Eckpunkt dieser Debatte ist, wie Sie wissen, der Zukunftskonvent am 18. November in Oberhausen. Die Fraktion hat mit ihrer Klausur ihre Positionen innerhalb dieser Diskussion entwickelt und wird jetzt ihre Eckpunkte in den Prozess einbringen.

Weiter heißt es wörtlich in der Information der Kölner SPD-Landtagsabgeordneten Martin Börschel | Anke Brunn | Marc Jan Eumann | Stephan Gatter | Ingrid Hack:

"Lassen Sie mich noch einmal ganz klar unterstreichen: Für die SPD ist Bildung nicht nur Schule. Eine Verkürzung der Bildungsdebatte auf eine Schuldebatte wird den Anforderungen der Zukunft nicht gerecht. Wir brauchen eine umfassende Bildungsdebatte in NRW, die Chancengleichheit in den Mittelpunkt stellt. Es hilft doch insgesamt nichts, die Bedingungen für einige Schülerinnen und Schüler an Gymnasien oder Privatschulen zu verbessern, aber viele andere mit gar keinen oder schlechten Chance zurückzulassen.

Dieser Debatte verweigert sich die Landesregierung. Sie meint, mit ihrem Schulgesetz habe sie auf Jahre die Weichen gestellt. Das ist eine für Nordrhein-Westfalen verhängnisvolle Verkürzung des Denkens. Von den zahlreichen Mängeln des Schulgesetzes einmal abgesehen, die alle Expertenanhörungen belegt haben.

Wir müssen Bildung umfassend denken. Bildungspolitische Verantwortung reicht für uns vom Kleinkindalter bis zum Ende des Berufslebens. Allein auf die wenigen Schuljahre zu schauen, ist eine verhängnisvolle Kurzsichtigkeit zum Schaden der gesamten Gesellschaft. Die SPD stellt sich dagegen dieser Herausforderung.

Weil wir die Strukturen von unten erneuern müssen, stehen für uns die Kinder im Mittelpunkt! Welche Bedingungen einer besten Bildung braucht jedes einzelne Kind, um die besten Chancen für seine Zukunft zu haben? Diese Frage ist für uns die entscheidende Frage.

Dabei sind für die SPD Bildung, Erziehung und Betreuung ein Dreiklang. Denn für jedes Kind ist jede Art von Förderung gleich viel wert. Die Notwendigkeit zu einer umfassenden Bildungsbetrachtung liegt auf der Hand – das sagt uns jeder Experte: Nur mit einer guten Betreuung, bei der die individuellen Stärken eines Kindes gefördert werden und es Hilfe zur Behebung seiner Schwächen erhält, kann ein Kind auch die Bildungsangebote optimal nutzen. Ohne die Vermittlung von Werten in der täglichen Erziehung bleibt Schule ein fehlerhafter Reparaturbetrieb.

Wir haben deshalb auf der Fraktionsklausur fünf Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit den Bereichen beschäftigt haben:
• Elementarbereich und frühkindliche Förderung
• Ganztag, Selbständige Schule, Qualitätssicherung
• Bildungsfinanzierung
• Berufliche Bildung und lebenslanges Lernen
• Lehrerbildung und innovative Hochschulpolitik

Das Thema "Die beste Bildung für alle – auch durch die beste Schulstruktur" wurde von der gesamten Fraktion diskutiert. Zu allen sechs Bereichen hatte die Fraktion Experten eingeladen.

Es würde jetzt zu weit führen, sämtliche Ergebnisse der Arbeitssitzungen hier darzustellen. Deshalb möchten wir uns auf die Punkte beschränken, die aus unserer Sicht die wichtigsten sind.

Eins vorab: Es war eine sehr gute Fraktionsklausur. Die Ergebnisse, die ich ihnen nun darlegen werde, wurden in sehr großer Übereinstimmung gefasst. Sie bieten eine gute Basis für die bildungspolitische Debatte der nächsten Wochen und Monate. Die Fraktion ist auf diese Debatte im Land bestens vorbereitet. Das gibt uns sehr viel Mut und Zuversicht. Denn uns steht mit der Regierung Rüttgers ein politischer Gegner gegenüber, der sich in der Bildungsfrage ideologisch eingemauert hat und eine offene Diskussion darüber verweigert, welche Bildung die Beste für unsere Kinder und Jugendlichen ist. Die Landesregierung ignoriert in unverantwortlicher Weise wissenschaftliche Erkenntnisse. Herr Rüttgers verhält sich bei der Frage nach der Schule der Zukunft wie ein Geisterfahrer, der einen schweren Unfall riskiert. Der Ministerpräsident nimmt seine Verantwortung nicht wahr.

Wir wissen: Blockade bringt uns nicht aus dem Pisa-Tal. Wir brauchen Mut zu neuen Ideen und Wegen. Diesen Mut in der zentralen Frage der Landespolitik – der Bildungspolitik – bringt die Koalition von Ministerpräsident Rüttgers nicht auf. Es ist deshalb die Aufgabe der SPD, eine gesellschaftliche Diskussion in diesem Land anzustoßen, an deren Ende eine bessere Bildung für alle steht. Bei Schwarz-Gelb bleibt NRW in der Bildungs-Sackgasse.

Jetzt zu den Ergebnissen im Einzelnen:

Bildungsplan für jedes Kind: Für jedes Mädchen und jeden Jungen muss schon in der frühkindlichen Förderung ein individueller Bildungsplan erstellt werden, der die Entwicklung des Kindes dokumentiert – wo besondere Unterstützungserfordernisse wie Sprachförderung notiert werden. Jedes einzelne Kind muss im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes die bestmögliche individuelle Förderung erhalten, unter Einbeziehung der Familie und des weiteren sozialen Umfeldes. Dabei muss man auf das unterschiedliche Lerntempo von Kindern Rücksicht nehmen. (Kinder lernen unterschiedlich: So liegen die Fähigkeiten von Fünfjährigen in der intellektuellen Bandbreite zwischen 3,5 und sieben Jahren)

Kindertageseinrichtungen als Investmentbank: Bildungsforscher sagen übereinstimmend, dass eine optimale frühkindliche Förderung der Schlüssel für eine erfolgreiche anschließende Schulkarriere ist. Und Kinder werden mit einer unerschöpflichen Neugierde geboren, ihre Welt zu erforschen. Sie wollen lernen! Deshalb müssen wir ihnen die besten Möglichkeiten zum Lernen bieten. Wir dürfen Kindertageseinrichtungen nicht als die "Sparkasse" des Bildungswesens verstehen, sondern als die "Investmentbank", mit der man einen großen Gewinn erzielen kann.

Die Besten für die Kleinsten: Wir müssen Erzieher/innen für die vorschulische Förderung besser ausbilden. Dazu gehört der Ausbau der Diagnose- und Interventionsfähigkeit der Erzieher/innen. Ziel ist die Multiprofessionalität des Personals. Zu prüfen ist eine akademische pädagogische Grundausbildung für den Erzieherberuf, wobei nicht jede Erzieherin oder jeder Erzieher künftig eine Hochschulausbildung haben muss.

Beitragsfreies letztes Kindergartenjahr: Zum notwendigen Ausbau der vorschulischen Bildung müssen künftig alle Kinder verbindlich das letzte Kindergartenjahr besuchen. Den Besuch des Kindergartens verbindlich vorzuschreiben setzt voraus, das letzte Jahr beitragsfrei zu stellen. Diese finanzielle Belastung können die Kommunen nicht leisten. Das muss das Land übernehmen. Die SPD-Fraktion hat bereits im Haushalt 2006 vorgerechnet, dass dies ohne zusätzliche Schulden zu finanzieren ist. Wir werden dies der Landesregierung auch für 2007 vorrechnen. Es ist ein bildungspolitisches Armutszeugnis, dass sich die Regierungskoalition hier im Gegensatz zu anderen Bundesländern aus ihrer Verantwortung stiehlt.

Qualitätsprogramm Schule: Wir brauchen eine Debatte über die Qualität von Schule im Landtag. Der Landtag muss klären, welche Ziele unsere Schulen verfolgen müssen und welche Kriterien eine gute Schule ausmachen bzw. welche Standards unsere erreichen sollen. Am Ende dieser Debatte, die wir jetzt einfordern, muss aus Sicht der SPD-Fraktion ein Qualitätsprogramm Schule stehen, der den Handlungsfaden für die Politik und Orientierung für Schulen, Lehrer, Eltern und Kinder bietet.

Ganztag für alle: Die offene Ganztaggrundschule (OGTS), die auf Initiative der SPD zurückgeht, hat sich längst als das Erfolgsmodell schlechthin entwickelt. Es ist das Zukunftsprojekt gerade für Kinder aus bildungsfernen gesellschaftlichen Gruppen. Die aktuelle Debatte zeigt, dass der weitere Ausbau von Ganztagangeboten Kernpriorität sein muss. Es ist gut, dass die Landesregierung die SPD-Initiative weiterentwickelt. Das Ziel von 200.000 OGTS-Plätzen bis 2007 muss erreicht werden. Es ist jedoch ein schweres politisches Versäumnis, dass die Landesregierung den Ausbau des Ganztags bei den weiterführenden Schulen auf die Hauptschule und wenige Förderschulen beschränkt und damit Realschulen und Gymnasien im Regen stehen lässt. Wir wollen Ganztag für alle Schulformen.

Länger gemeinsam lernen: Für die SPD steht fest: Die von der Landesregierung durch das Schulgesetz noch verschärfte Auslese von demnächst neunjährigen Mädchen und Jungen ist eine schwere Hypothek für die Chancengleichheit in NRW. Bildungsstudien bzw. Bildungsforscher belegen: Das gegliederte deutsche Schulsystem steht für frühe Sortierung und die völlig unzureichend ausgeprägte Durchlässigkeit von unten nach oben. Es führt im hohen Maße zu Bildungsbenachteiligung bzw. steht für soziale Ungerechtigkeit. Wir haben uns auf der Klausur mit verschiedenen Modellen einer Reform des Schulwesens beschäftigt. Im Ergebnis ist festzuhalten: Die SPD-Fraktion lehnt ein so genanntes "Zwei-Säulen-Modell" ab. Bei dem Zwei-Säulen-Modell werden neben dem Gymnasium als der ersten Säule die anderen Schulformen Hauptsschule, Realschule und Gesamtschule zu einer Schulform zusammengefasst. Eine solche Lösung würde die Selektion noch verstärken. Schon heute scheitern zu viele Kinder im System: 13.000 machen keinen Abschluss, etwa 60.000 bleiben sitzen, auf einen "Aufsteiger" kommen 10 "Absteiger".

Die SPD-Fraktion ist sich einig, dass wir stattdessen Kinder länger gemeinsam lernen lassen müssen. Deshalb spricht sich die SPD-Fraktion dafür aus, in der Orientierungsstufe – also der 5. und 6. Klasse – schulformübergreifenden Unterricht zu erteilen. Bei der Debatte über die sich daran anschließende Schulstruktur gab es in der SPD-Fraktion Sympathie für eine allgemeine Sekundarschule, wie sie der Verband Bildung und Erziehung NRW (VBE) vorschlägt. Dr. Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund war bei der Klausur als Experte zu Gast und hat das VBE-Modell erläutert. Dabei können ab dem 7. Schuljahr die Bildungsgänge "Hauptschule", "Realschule" und "Gymnasium" angeboten werden. Es sind aber auch Mix-Formen (Haupt- und Realschule als gemeinsamer Zweig neben dem Gymnasium) oder auch die Integration der bisher getrennten Schulformen möglich.

Aus Sicht der SPD-Fraktion bietet diese flexible Schulform zahlreiche Vorteile:

• gemeinsame Orientierungsstufe 5. und 6. Klasse
• es wird keine neue Schulform eingeführt
• örtliche Schulträger und Schulen entscheiden selbstständig, welches Modell am besten passt – kein starres Standardmodell
• durch die Möglichkeit zu Oberstufenzentren können Kommunen eine breit gefächerte, qualitativ hochwertige gymnasiale Oberstufe sicherstellen
• ortsnahes, breit gefächertes Schulangebot kann erhalten bleiben – wir wollen keine schulfreien ländlichen Regionen

Gerade den letzten Punkt kann das bisherige Schulsystem auf Grund der demographischen Entwicklung nicht mehr gewährleisten. Experten wie Dr. Rösner sagen voraus, dass in den kommenden zehn Jahren allein jede zweite Hauptschule in NRW vor der Schließung steht. Schon heute gibt es 54 Gemeinden in NRW mit nur noch einer Hauptschule. Wenn wir wissen, dass wir im Jahr 2018 rund 210.000 Grundschülerinnen und Grundschüler weniger haben werden als 1997, dann muss eigentlich jeder begreifen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wenn wir nichts tun, stehen wir in Nordrhein-Westfalen vor einem massiven Schulsterben mit allen Folgen für die schulische Bildung unserer Kinder. Doch die Landesregierung tut dagegen nichts. Unsere Forderung ist: Ein ortsnahes und breit gefächertes Schulangebot muss erhalten bleiben.

Die Erwartung der Menschen, dass wir bei den internationalen Bildungsstudien besser werden, um den weltweiten Anschluss nicht zu verpassen und die dramatisch sinkenden Schülerzahlen zwingen dazu, über neue, flexible Schulformen zu diskutieren.

Beitragsfreie Bildung von der Kita bis zur Uni: Bildung von der Kindertagesstätte bis zum Hochschulabschluss beitragsfrei zu gestalten ist unser Ziel. Dies erreichen wir durch stufenweise Einführung. Unser erster Schritt in diese Richtung ist das beitragsfreie letzte Kindergartenjahr. Danach muss die Umsetzung einer völligen Beitragsfreiheit der Elementarbildung erfolgen. Wir wollen die Bildungsfinanzierung "vom Kopf auf die Füße stellen". Das heißt, dass wir innerhalb der Bildungskette zu Gunsten der Kleinen umschichten wollen. So sehen wir u.a. Umschichtungspotenziale in der Sekundarstufe II zu Gunsten des Elementarbereichs sowie der Primarstufe und der Sekundarstufe I.

Dual hat Zukunft: Trotz der deprimierenden Rückschläge am Ausbildungsmarkt der vergangenen Jahre hält die SPD-Fraktion am dualen Ausbildungssystem fest. Es muss jedoch gezielt weiterentwickelt werden. Dazu gehört u.a. die systematische Aufwertung der Berufskollegs. Jugendlichen sollte auch dort die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Kammerprüfung ablegen zu können. Weitere Elemente sind aus Sicht der SPD-Fraktion eine verstärkte Verbundausbildung unter Einbindung der kleinen und mittleren Unternehmen; die Etablierung von Ausbildungs-Scouts; finanzielle Anreize für die Unternehmen, neue Ausbildungsplätze einzurichten (Modell 2 x 2000 der SPD-Fraktion); Ressourcenmanagement durch Anrechnung von Ausbildungsabschnitten.

Lernen ein Leben lang: Für die SPD-Fraktion ist die Erstausbildung der Start in eine lebenslange Weiterbildung. Angesichts der Herausforderung eines zunehmend globaleren Arbeitsmarktes ist berufliche Bildung gerade für hoch entwickelte Industrieländer ebenso entscheidend wie schulische Bildung. Lebensbegleitendes Lernen muss daher als gesamtgesellschaftliche Aufgabe erkannt werden, der sich keiner entziehen kann und darf. Auch hier muss das Prinzip "Fördern und Fordern" gelten. Im Gegensatz zur Politik der schwarz-gelben Landesregierung, die gerade die Weiterbildungslandschaft zerschlägt, fordern wir regionale Bildungszentren, in denen Angebote von Volkshochschule, Berufskolleg, Hochschule und Weiterbildungsträgern verzahnt werden. An den Schnittstellen Schule/Beruf und Schule/Hochschule fehlt es an der Vermittlung und Aufbereitung von umfassenden Informationsangeboten. Noch immer kennen viel zu wenige junge Menschen die riesige Bandbreite an Ausbildungsberufen und Studiengängen in NRW. Dies muss dringend verbessert werden, um Mode-Trends abzufedern und Abbrecherquoten zu senken. Um die hohe Zahl der Abbrecher und Studienwechsler an Hochschulen zu senken, muss eine für jede Hochschule und jeden Studierenden verpflichtende studienbegleitende Studienberatung in den ersten Semestern eingeführt werden.

Training Teacher: Die SPD-Fraktion spricht sich für die Umstellung des Lehramtsstudiums auf die europäischen Abschlüsse Bachelor und Master aus. Dabei sollte die von Fachleuten als polyvalent bezeichnete Ausbildungsstruktur generell vorgeschrieben werden, die bisher in NRW nur an vier Hochschulen als Modell läuft. Polyvalenz besagt, dass Studienanfänger sich noch nicht zu Beginn des Studiums verbindlich festlegen müssen, ob ihr Studienabschluss Richtung Lehrer oder einem anderen Beruf tendiert. Diese Festlegung erfolgt erst im Laufe des Studiums. Durch mehr und frühere Praxiselemente im Studium können Studierende sicherer entscheiden, ob der Lehrerberuf für sie die richtige Wahl ist. Die SPD-Fraktion fordert darüber hinaus die Weiterentwicklung des Referendariats zu einem "Training Teacher" zwischen Bachelor- und Masterausbildung. Dann durchlaufen die Studierenden nicht erst am Ende ihres Studiums (wie bisher beim Referendariat) ihre praktische Vorbereitung auf den Beruf. Ein früheres Kennenlernen des täglichen Schulalltags wird auch hier die Berufsentscheidung sicherer machen.