Lesezeichen:“Den Wählern kann man keinen Vorwurf machen“

Bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben die Volksparteien stark verloren – zugunsten vieler kleiner Parteien. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE vom 18.09.2006 beklagt Staatsrechtler Hans-Herbert von Arnim die Zersplitterung des Parteiensystems und fordert das Mehrheitswahlrecht. Hans Herbert von Arnim ist Professor für Öffentliches und Verfassungsrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

"Den Wählern",so Hans-Herbert von Arnim gegenüber SPIEGEL ONLINE wörtlich, " kann man keinen Vorwurf machen. Vielmehr handelt es sich um ein Problem des Wahlsystems. Das Verhältniswahlrecht ist schuld an diesem Trend zur Zersplitterung. Der Philosoph Karl Popper hat einmal als Grundregel der Demokratie formuliert, dass das Wahlrecht die Möglichkeit geben muss, schlechte Regierungen wieder loszuwerden. Bei uns ist das oft gar nicht möglich. In Mecklenburg-Vorpommern hat die SPD gewaltig verloren und wird wohl trotzdem wieder den Ministerpräsidenten stellen, weil die Koalitionsmehrheit ausreicht. Deshalb sollte man auf Landesebene über eine Abschaffung des Verhältniswahlrechts nachdenken. "

Hans-Herbert von Arnim fordert das Mehrheitswahlrecht. Die kleinen Parteien, so SPIEGEL ONLINE, beklagen, das sei undemokratisch, weil die Großen immer gewinnen würden. Dazu von Arnim wörtlich:

"Das ist die Kehrseite. Die politischen Köpfe der kleinen Parteien müssten sich in die großen integrieren, wenn sie Karriere machen wollten. Das ist ein großer Nachteil, aber noch viel undemokratischer ist es, dass der Wähler keine politische Verantwortung zurechnen kann. Nicht der Wähler bildet bei uns die Regierung,
sondern die Parteiführer in Koalitionsverhandlungen nach der Wahl."

Zu einer Einführung des Mehrheitswahlrechts meint Hans-Herbert von Arnim:

"Auf Landesebene besteht die Möglichkeit, einen Systemwechsel auch durchzusetzen. Vom Parlament kann man eine solche Reform nicht erwarten, weil die Abgeordneten sich nicht sicher sein können, dass sie auch unter dem neuen System wiedergewählt würden. Aber mit Volksbegehren oder Volksentscheid, die in den Ländern eröffnet sind, ginge das. Damit kann man auch das Wahlrecht ändern. Es müsste nur jemand die Initiative ergreifen. Dann wäre das nicht nur eine akademische Spielerei."