Erinnerung an den „Zuchtmeister“

Vizekanler Franz Müntefering hat den ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner als großen Strategen und Moralisten gewürdigt, der sich auch in der heutigen SPD wohl gefühlt hätte. Anlässlich seines 100. Geburtstages (11.7.) ehrte die Partei Herbert Wehner mit einem Festakt in Dresden und einer Kranzniederlegung an seinem Grab in Bonn.

Wehner habe, so Müntefering in einem Interview mit MDR Info, den Menschen helfen wollen, im Großen wie im Kleinen. Das Wort „sozial“ sei für ihn ein „Kernwort“ gewesen. Sein politisches Werk sei von größeren Reformschritten geprägt gewesen, als die SPD sie heute vollzöge. Rückblickend könne man sehen, wie richtig und wichtig die Schritte waren, betonte der Vizekanzler. „Ich hoffe, das kann man von uns auch mal sagen“, so Franz Müntefering. Wehner habe immer deutlich gemacht, dass Sozialpolitik bedeute, auch an morgen und übermorgen zu denken.

Der frühere Bundeskanzler Schmidt würdigte Wehner als einen „der ganz großen“, berichtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vom 12.07.2006. Wörtlich heißt es:

"Schmidt erinnerte daran, daß der ehemalige Kommunist „sehr wirksam“ dazu beigetragen habe, daß das Godesberger Programm, mit dem sich die SPD von einigem ideologischen Ballast befreite, 1959 auch tatsächlich vom Parteitag angenommen wurde. Nur ein Jahr später habe der Politiker mit einer Bundestagsrede dafür Sorge getragen, daß sich auch in der SPD der Gedanke der Westbindung der Bundesrepublik durchsetzte. Tatsächlich war dies auch ein entscheidender Schritt der Partei hin zur Koalitionsfähigkeit."

Unter der Überschrift: "Der Meister des politisch Unkorrekten" schreibt der KÖLNER STADTANZEIGER in seiner Ausgabe vom 11.07.2006:

"…Herbert Wehner bleibt ein Unikat, da kann sich Pfeifenraucher Peter Struck noch so sehr um Wehner’sche Kauzigkeit bemühen in dessen Amt. Allerdings ist auch die Zeit der "Zuchtmeister" vorbei. In der Hauptstadt Berlin tummeln sich – anders als im noch beschaulichen Bonn – mehr Journalisten und Interessenvertreter als Politiker. Da bleibt nichts mehr geheim und kaum noch etwas vertraulich, da schwatzen sich dubiose Kreise wichtig, wo früher die Fraktion wenigstens ein paar Stunden etwas für sich behalten konnte. Und vom Fraktionschef anschreien lässt sich auch niemand mehr. Als autoritärer Knochen würde ein Wehner heutzutage mächtig auflaufen.</p>

In seiner Zeit hielt Herbert Wehner die Fraktion zusammen, beanspruchte und bewies Führung, nahm eher Fehler zerknirscht auf sich, als dass er gemeinschaftlich errungene Erfolge für sich okkupierte. Geradlinig bis zur Sturheit ging er nicht wenigen seiner Kollegen auf die Nerven, doch war er zielorientiert genug, im rechten Moment über den eigenen Schatten zu springen, Kompromisse zu schließen und diese energisch zu verteidigen. In der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition freilich und in seinen Bemühungen um den innerdeutschen Dialog zur Zeit des Kalten Krieges kannte er kaum einen Kompromiss, da wollte er Ergebnisse sehen für die Menschen, für die kleinen Leute vor allem, denen er sich immer verbunden fühlte."

Wehner, so der KÖLNER STADTANZEIGER, war kein durchdrehender Poltergeist, sondern ein Vollblutpolitiker, dem es auf Wirkung beim Gegner und beim Publikum ankam – und auf den Erfolg. Wörtlich fährt das Blatt fort:

" So ein kantiger Rüpel zwischen den lavierenden, glatt polierten Polit-Phrasendreschern der deutschen TV-Laberrunden anno 2006? Es wäre nicht gut gegangen. Womöglich wäre Wehner aber gar nicht gekommen – für ihn war das Parlament, der Bundestag noch der Ort politischer Auseinandersetzung. Regierung gegen Opposition, links gegen rechts, wie sich’s gehört. Herbert Wehner in munterem Geplänkel mit Christian Wulff, Claudia Roth und Boris Becker? Unvorstellbar!

Eben! Er fehlt."