Lesezeichen: „Der gute Mensch von Wuppertal“

Die Sozialdemokratie trauert um Johannes Rau, der am Freitagmorgen (27.01.2006) verstorben ist. Die NRWSPD hat ein Kondolenzbuch ins Internet gestellt. Die Adresse: "http//:www.nrwspd.de/kondolenzbuch". Die Presse würdigt Rau als einen Politiker, der "versöhnen statt spalten" wollte. "Der Sozialdemokrat Rau war verwurzelt im christlichen Glauben, nicht in sozialistisch-sozialdemokratischen Ideologien", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 28.01.2006. Weiter lesen wir: (..)

Mancherorts brachte ihm das den Ruf des „Predigers“ ein, was auch mit der Form seiner Ansprache zu tun hatte. Den Auftrag, „die verbesserungsfähige und verbesserungswürdige Welt zu verändern und zu verbessern“, leitete er aus der biblischen Botschaft ab. Das Evangelium, nicht die Schriften von Marx und Engels waren das Fundament seiner Arbeit. Wahrscheinlich war ihm die Bibel vertrauter als das je gültige Parteiprogramm – und richtungsweisender als die momentane „Beschlußlage“. …

Die in den achtziger Jahren entwickelte Wahlkampfformel „Versöhnen statt spalten“ paßte wie keine andere zu seiner Persönlichkeit und verlieh ihm Authentizität, heißt es weiter in der FAZ. Wörtlich: "Seine Auftritte auf Parteitagen und sogar in Wahlkämpfen, erst recht in internen Sitzungen waren nicht polarisierend, nicht zuspitzend. Kritik an Personen drückte er am liebsten in Bildern und Geschichten aus, wobei ihm ein beträchtlicher Fundus an Anekdoten und Witzen aus dem Stegreif zur Verfügung stand. Rau konnte erzählen. Das Gemeinte erschloß sich oft erst später. Bloß Kalauer? Diejenigen Zuhörer, die ihn für einen Plauderer hielten, haben ihn nicht verstanden."

Wie kein Präsident vor ihm war Rau ein Präsident des Worts. schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in ihrer Ausgabe vom 28.01.2006. Wörtlich:

"… Ihn kennzeichnet nicht, wie Richard von Weizsäcker, die eine ganz große, historische Rede. Er hat ein halbes Dutzend Reden gehalten, die das Prädikat "außergewöhnlich und merkenswert" verdienen: Die Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, ist von der israelischen Presse einhellig als ¸¸historisch" bezeichnet worden. Sie fiel noch in die Phase, in der Rau als Bundespräsident von den Deutschen kaum beachtet wurde. Zum ersten Mal wurde am 6. Februar 2000 am Pult der Knesset Deutsch gesprochen, wohl keinem anderen Deutschen wäre das erlaubt worden als ihm, der zuvor als SPD-Spitzenpolitiker 33 Mal im Heiligen Land gewesen war. Raus Berliner Rede zur Biopolitik vom 18. Mai 2001 wird womöglich eines Tages als ähnlich bedeutend gewürdigt werden wie jene Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg. Rau warnte in sehr eindringlichen Worten davor, alles zu machen, was machbar ist…."

In seiner letzten Berliner Rede im Mai 2004, einer großen Mutmach-Rede, warb der Präsident um "Vertrauen in Deutschland", erinnert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.Das Blatt betont:"Seine Mahnung an die wirtschaftlichen und politischen Eliten, sich so zu verhalten, dass solches Vertrauen wieder wachsen kann, ließ an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Diese Rede war das geläuterte Fazit eines Politikerlebens, das Vermächtnis eines Präsidenten, dem das Versöhnen wichtig war."

Raus Präsidentschaft war eine Aufwärtsbewegung, schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU in ihrer Ausgabe vom 28.01.2006. Das Blatt fährt fort: " Er hat die vielen Vorurteile weniger widerlegt als hinter sich gelassen, durch den tätigen Nachweis, dass der Typus Rau, nehmt alles nur in allem, doch einiges für sich hat. Die Koordinaten der Bewertung verschoben sich wieder. Was "alt", "unmodern", "hoffnungslos westdeutsch", "pastoral" und "unentschieden" geheißen hatte, das wurde auf einmal wieder als Ausweis großer Erfahrung und Weltklugheit, als Beweis eines sicheren, moderesistenten Wertegefüges, eines angenehmen, weise-abwägenden Vortrags gewürdigt."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU zieht folgende Bilanz:"Auf der höheren Wahrnehmungsebene waren es drei Dinge, die den zunehmenden Erfolg des aus Wuppertal stammenden Präsidenten ausmachten: seine erfolgreiche Repräsentanz des "guten Nachbarn" Deutschland im Ausland, Israel an erster Stelle; die produktive Unzeitgeistigkeit mancher seiner großen Reden, zur Einwanderung, zur Biotechnologie, zur Globalisierung und zum liberalen Ökonomismus; schließlich die ein oder andere bemerkenswerte Einmischung ins politische Geschäft, wie beispielsweise 2002 der energische Rüffel an beide Seiten, als SPD und CDU aus der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat ein Stück politisches Schmierentheater gemacht hatten."

Gefragt nach dem Abschied von der Macht, meinte Rau einmal, es sei wie mit Erdnüssen. "Wenn Sie irgendwo auf einer Party sind und da stehen Erdnüsse rum, nehmen Sie im Vorübergehen zwei, drei Erdnüsse." Und bald merke man, dass man gar nicht mehr aufhören könne, sagte er im Interviewband mit der Journalistin Evelyn Roll.